Prozessbeginn gegen Neonazis der Hooligangruppe «Jungsturm Erfurt»

Prozessbeginn gegen Neonazis der Hooligangruppe «Jungsturm Erfurt»

TEXT:
EXIF Recherche & Analyse
DATUM: 12.11.2020

Ende April 2020 fanden in mehreren Städten in Thüringen und Sachsen-Anhalt Durchsuchungen statt. Betroffen waren die Wohnungen, sowie ein von Mitgliedern der Neonazi-Hooligan Gruppe «Jungsturm Erfurt» genutztes Objekt. Theo Weiland, Marco Klingner und Steve Weinhold sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Nur wenige Monate später, am 29. Juli 2020, folgte die Verhaftung des «Jungsturm»-Mitglieds Robin Brandt aus Waltershausen. Nun soll am 12. November 2020 am Landgericht Gera der Prozess gegen die vier Neonazis eröffnet werden. Ihnen wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung zur Last gelegt. Bisher scheint sich die Anklage vor allem auf die inhaftierten Mitglieder zu konzentrieren und deren Aktivitäten im Zusammenhang mit verabredeten „Ackerkämpfen“. Die personelle Stärke sowie die politische Dimension der Gruppe reicht jedoch viel weiter – besonders hinsichtlich ihrer Bedeutung innerhalb der Thüringer Neonaziszene.

Benjamin Stoye, Steve Weinhold, Till Maschke, Marco Klingner und Theo Weiland 2016 im Stadion

Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung

Wie das Landgericht Gera in einer Pressemitteilung im Oktober 2020 bekannt gab, werden mehrere Taten der Gruppe angeklagt, welche sich im Zeitraum zwischen 2014 und 2019 ereignet haben sollen. Es geht dabei vorrangig um abgesprochene „Ackerkämpfe“ mit anderen Hooligan-Gruppen, wie auch organisierte Angriffe auf Fans des Erzrivalen FC Carl Zeiss Jena. Laut Anklage sollen Steve Weinhold und Marco Klingner den «Jungsturm» im Jahr 2014 ins Leben gerufen haben. Seit spätestens Sommer 2016 soll Theo Weiland aktives Mitglied beim «Jungsturm» gewesen sein. Robin Brandt sei der Gruppierung 2017 beigetreten. Spätestens ab Sommer 2017, so die Staatsanwaltschaft, seien außerdem Mitgliedsbeiträge erhoben worden und es habe gemeinsame Veranstaltungsbesuche, sowie Kampfsporttrainings gegeben. Für Treffen und Trainings nutzte die Gruppierung Räumlichkeiten im rechten Szeneobjekt «Erlebnisscheune» in Kirchheim, bestätigt die Anklage.

Der «Jungsturm» zu Gast beim «Imperium Fight Team» in Leipzig: Kevin Noeske (1.v.l.), Marcel Thomas (3.v.l.), Benjamin Brinsa und Timo Feucht (7. und 8. vl.), Robin Brandt (6.v.r.), Lukas Barthold (4.v.r.), Steve Weinhold (3.v.r.), Christopher Henze (2.v.r.), Frank Fischer (1.v.r.)

Ab Sommer 2018 geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass Marco Klingner und Theo Weiland die Führungspositionen in der Gruppe einnahmen. Weiland soll die Finanzen der Gruppe verwaltet und die sogenannten „Ackerkämpfe“ arrangiert und durchgeführt haben, während Klingner „als weitere Führungsfigur neben der Teilnahme an Kämpfen für die Festigung des internen Zusammenhalts und Organisator für gruppeninterne Veranstaltungen zuständig gewesen sein“ soll.

Im Konkreten umfasst die Anklage „Ackerkämpfe“ ohne genaue Ortsangabe, die am 23. Januar 2018, 11. Februar 2018 und 29. Juli 2019 stattgefunden haben sollen, wie auch Kämpfe am 19. Mai 2019 nahe Hessisch-Lichtenau und am 12. Mai 2019 in der Nähe des Schloss Babelsberg in Potsdam. Darüber hinaus sollen sich die Angeklagten an der Organisation mehrerer Angriffe auf Fans des FC Carl Zeiss Jena in Saalfeld und Gotha beteiligt haben.

Video-Screenshots: Der «Jungsturm» auf einem sogenannten „Ackerkampf“ gegen Hooligans aus Koblenz 2018/2019 1. Steve Weinhold (mitte) 2. Theo Weiland 3. Marco Klingner (weißes Shirt)

Theo Weiland – Beauftragter für die Finanzen und Kickbox-Lokalmatador

Der bekannteste der vier Angeklagten ist Theo Weiland. Der in Saalfeld aufgewachsene deutsche Meister im Kickboxen war bis zu seiner Verhaftung als Trainer im «La Familia Fight Club» in Halle beschäftigt. Auch dem «Imperium Fight Team» im nahen Leipzig, dass vom Neonazi-Hooligan Benjamin Brinsa geführt wird, stand Weiland für Trainingseinheiten zur Verfügung. Durch diese Aktivitäten war es Weiland auch möglich, die Vernetzung zu anderen rechten Hooligans der Vereine 1. FC Lokomotive Leipzig und Hallescher FC aufrecht zu halten und zu intensivieren.

Gemeinsam mit dem Headcoach des «La Familia Fight Club» in Halle, Matthias Weber, modelte Weiland zudem für die extrem rechte Sportmarke «Label 23» aus Cottbus. Die Marke selbst war Sponsor von Weiland und gratulierte ihm noch am 28. April 2020 zum Geburtstag, mit den Worten: „Support your local fighter (…) feier schön und genieße die Zeit im Kreise deiner Familie“. In der Nacht vom 27. auf den 28. April klickten jedoch die Handschellen bei Weiland. Mittlerweile soll der Neonazi-Hooligan zumindest aus dem Vorstand des «La Familia Fight Club» in Halle ausgeschlossen worden sein. Eine glaubhafte Positionierung von Headcoach Weber im Causa Weiland fehlt jedoch.

Schon im jüngsten Prozess gegen den Saalfelder Neonazi Felix Reck wird Weiland als „vermeintlicher Führungskader des Jungsturms“ aktenkundig aufgeführt. Im Rahmen dessen wurde auch ein Telefonat zwischen Theo Weiland und Felix Reck bekannt – während letzterer bereits in Untersuchungshaft saß und ein Telefon eingeschleust bekam – wo sich über ein Alibi abgestimmt wurde, mit dem Reck‘s Vater seinen Sohn schützen sollte. Konkret ging es um den Überfall auf Fans des FC Carl Zeiss Jena am 21. Februar 2019 in einer Bowlingbahn in Saalfeld-Gorndorf. An dem Überfall soll sich nicht nur Reck und Weiland beteiligt haben, sondern auch Robin Brandt. Einen ähnlichen Übergriff auf Fans des FC Carl Zeiss Jena hatte es am 7. Dezember 2018 am Saalfelder Bahnhof gegeben, an dem sich Weiland, Steve Weinhold und mindestens 40 weitere Täter beteiligten. Ein weiterer vom «Jungsturm» organisierter Angriff soll sich am 27. Juli 2019 am Bahnhof in Gotha ereignet haben. Mehrere Angreifer sollen dabei einen Zug mit Fans aus Jena angegriffen haben. Auch dort waren die vier Angeklagten zugegen.

Marcel Thomas – zuständig für die Infrastruktur

1. August 2018: Marcel Thomas (1.v.r. mit Basecap) auf der Anreise zu einem Aufmarsch der AfD in Chemnitz

Von den Razzien im Frühjahr 2020 war auch die «Erlebnisscheune» in Kirchheim betroffen. Laut Ermittlungsstand soll sich der «Jungsturm» in dem Szeneobjekt getroffen und zu Straftaten verabredet haben. Mehrere Bilder aus den sozialen Netzwerken belegen schließlich Kampfsporttrainings der Gruppe im Objekt. Gerade die zentrale und dennoch von der Öffentlichkeit abgeschottete Lage machte das Objekt für die Gruppe attraktiv. Das Gebäude, welches auch als „Hotel Romantischer Fachwerkhof“ in der Öffentlichkeit bekannt ist und nur wenige Kilometer südlich von Erfurt liegt, dient der extremen Rechten seit Jahren als Veranstaltungs-und Tagungsort. Betrieben wird das Objekt jedoch nicht nur einzig und allein von Rainer Kutz. Auch der jahrelang aktive Neonazi Marcel Thomas wird auf der Webpräsenz der «Erlebnisscheune» mindestens seit 2017 als Mitinhaber geführt. Sarah Thomas hingegen verwaltet die Buchungsanfragen des Objektes.

Bei Marcel Thomas fand bereits am 6. Juni 2011 eine Hausdurchsuchung in Illmenau statt. Dort aufgewachsen, teilte er sich eine Wohnung mit Patrick Voigt, der ebenfalls von der Razzia 2011 betroffen war. Beide hatten sich im Mai 2011 an einem konspirativ geplanten Aufmarsch in Berlin-Kreuzberg beteiligt, aus dem es zu gewalttätigen Übergriffen auf Gegendemonstrant:innen kam – auch durch Thomas und Voigt. Patrick Voigt fand sich zudem 2012 mit anderen Neonazis aus Erfurt und Illmenau – darunter das spätere «Jungsturm» Mitglied Philipp Mittelstedt – vor dem Erfurter Kunsthaus wieder, als sie gemeinschaftlich eine dortige Feier brutal überfielen. Auch Thomas suchte zwischenzeitlich vermehrt den Kontakt zu den Neonazis des «Jungsturm». Dabei trat er etwa 2015 mit Marco Klingner und Steve Weinhold bei einem Aufmarsch von ThüGIDA in Erfurt-Nord in Erscheinung, der sich gegen eine Geflüchtetenunterkunft richtete. Anders jedoch als die restlichen «Jungsturm»-Mitglieder, taucht Thomas kaum im Kontext von Spielen des FC Rot-Weiß Erfurt auf. Er schien sich vor allem auf den Ausbau der Kampfsportstruktur der Gruppe konzentriert zu haben.

Marcel Thomas (2.v.r.) als Begleitung von Theo Weiland

Erik Marhula und Marcel Thomas im Rahmen eines Trainings in der Räumen der «Erlebnisscheune» in Kirchheim

Dabei pflegte und intensivierte er seine Kontakte zu Theo Weiland. Immer wieder posierten beide auf Bildern im Rahmen von Trainingskämpfen und auch Erik Marhula – ein anderer Kämpfer für das «La Familia»-Gym in Erfurt – nahm offenbar an den Trainings im Objekt in Kirchheim teil. Thomas begleitete die Beiden zudem auf öffentlichen Wettkämpfen. Etwa zur «7. La Famlia Fight Night» am 7. Mai 2016, wo Theo Weiland kämpfte. Mit Einlaufmusik der Erfurter Band «Trabireiter» – vormals als RechtsRock-Band «Brutale Haie» bekannt – gewann er an dem Abend seinen Kampf und feierte mit seinen mitgereisten Anhängern aus Halle und Erfurt an der Seite des Rings. In einem Video erkennt man in der Runde Marcel Thomas, bekleidet mit einem T-Shirt des «Jungsturm», sowie Marco Klingner und Robin Brandt. Seinen Bezug zur (rechten) Fanszene macht Weiland im Ring unmissverständlich klar, stimmt er doch im Nachgang, auf den Ringseilen thronend, den Schlachtruf „Erfurt-Halle, nur Kaputte“ an, auf den die mitgereisten Hooligans im Publikum lautstark einsteigen.

Ein paar Jahre später, im Mai 2019, war es ebenso Weiland, der dem Publikum den Fan-Gesang „Erfurt-Leipzig-Halle – Fußballkrawalle“ entgegen rief, als er erneut einen Sieg auf der «10. La Familia Fight Night» holte. Wieder waren dutzende Anhänger, mehrheitlich um die Fanszene aus Erfurt und Halle angereist, unterstützt durch Leipziger Hooligans um das «Imperium Fight Team». Wie eng die Bande ist, belegt ein Bild, dass am 31. Oktober 2018 veröffentlicht wurde. Nicht nur rechte Hooligans aus Leipzig – u.a. Benjamin Brinsa, Timo Feucht, Christopher Henze, Markus Kottke und Frank Fischer – nahmen an einen offenbar ganztägigen Training in der Räumen des «Imperium Fight Team» in Leipzig teil, sondern auch Mitglieder des «Jungsturm» – darunter Marcel Thomas, Steve Weinhold, Theo Weiland und Robin Brandt, wie auch der bekannte Neonazi-Gewalttäter Kevin Noeske aus Eisenach.

Neonazis aus dem Ilm-Kreis und Erfurt in Führungspositionen

Marco Klingner (links), Robin Brandt (mitte) und Dominic Brückner (rechts) beim «Tiwaz» 2019 – Bildrechte: Pixelarchiv

Neben Weiland besitzt vor allem Marco Klingner innerhalb des «Jungsturm» eine Führungsposition. Dass es der Gruppe nie um eine Trennung von Fußball und Politik ging, beweist auch er recht deutlich. So nahm er nicht nur 2015 mit weiteren Mitgliedern der Gruppe an einem rechten Aufmarsch in Erfurt teil, sondern fand sich auch 2016 zum «Tag der deutschen Zukunft» in Dortmund ein. Ein Jahr später, im Juli 2017, war er u.a. mit Robin Brandt und Philipp Mittelstedt zu Gast auf dem RechtsRock-Großevent «Rock gegen Überfremdung» in Themar.

Dominic Brückner (rechts im schwarzen Shirt)

Roy Kummer, Benjamin Stoye, Theo Weiland, Robin Brandt (v.l.n.r.)

Im Ilm-Kreis, wo Klingner bis zu seiner Verhaftung im April 2020 wohnte, gilt er als Netzwerker. Die Verbindung zu Marcel Thomas und den Trainingsräumen in Kirchheim dürfte über ihn ermöglicht worden sein. Auch die regionale Vernetzung der «Jungsturm»-Mitglieder Benjamin Stoye, Dominic Brückner und Roy Peter Kummer lässt sich auf Klingner zurück führen. Kummer gehört seit Anbeginn dem «Jungsturm» an und besuchte schon 2017 die Neonazi-Hooligans des CSKA Sofia in Bulgarien.

Mit Stoye und Brückner wurde Klingner schließlich auch im Januar 2016 in Leipzig-Connewitz in Gewahrsam genommen, nachdem dort bis zu 250 Neonazis und rechte Hooligans Geschäfte und Häuser angriffen. Alle drei müssen sich heute dafür vor Gericht verantworten. Benjamin Stoye fiel bereits 2005 bei einem Angriff auf Alternative und Punks in Langewiesen auf. Auch Roy Peter Kummer kommt aus Langewiesen. Klingner, der seit einigen Jahren u.a. in der Sicherheitsbranche tätig ist, trat letztmalig im Juni 2019 öffentlich in einem explizit neonazistischen Kontext in Erscheinung. Er war einer der Trainer von Robin Brandt, der in Zwickau auf dem extrem rechten Kampfsport-Event «Tiwaz» kämpfte. Der «Jungsturm» war auf dem Event personell fast vollständig vertreten und dominierte an dem Tag das Bild.

8. April 2012: Steve Weinhold (1.v.r.) in Bad Nenndorf – Bildrechte: Presseservice Rathenow

Auch Steve „Bifi“ Weinhold war im Juni 2019 in Zwickau Teil des Publikums. Dabei war Weinhold – der heute den Schriftzug «Jungsturm Erfurt» auf seinem Bauch tätowiert hat – bis etwa 2008 im Landkreis Gotha als Punk bekannt, bis er sich der Neonazi-Szene anbiederte. Nach seinem Umzug nach Erfurt erfolgte eine Zeit als aktiver Kader, u.a. bei der Kameradschaft «Freie Kräfte Erfurt». Die Gruppierung war für ihre engen Verbindungen in die rechte Hooligan-Szene bekannt. Der führende Erfurter Neonazi Enrico Biczysko war schließlich bei der «Kategorie Erfurt» (KEF) aktiv und trat ab 2012 mit weiteren Neonazis unter dem Namen «HooNaRa Erfurt» auf. Der «Jungsturm» kann also durchaus als Ziehkind der KEF betrachtet werden. Bezüge finden sich dabei auch im Merchandise. So ist «Kategorie EF/KEF» als Zusatz u.a. auf T-Shirts des «Jungsturm» angebracht.

Enrico Biczysko (rechts)

Diese Verbindung präsentiert auch das «Jungsturm»-Mitglied Philipp Mittelstedt. Auch er war seit spätestens 2011 in den Reihen der Gruppierung «Freie Kräfte Erfurt» zu finden und posiert auf Gruppenbildern der KEF. Dem «Jungsturm» gehört er seit der Gründung 2014 an und bestritt seitdem zahlreiche verabredete „Ackerkämpfe“, wie er in den sozialen Medien großzügig Preis gibt. Offensichtlich wird dabei auch Mittelstedts Nähe zur lokalen Kampfsportszene. Ein Bild eines „Ackerkampfes“ von Mittelstedt kommentiert „Coach Marek“ im April 2020 belustigt mit den Worten „1,50 m Abstand“.

Robin Brandt beim Ackerkampf gegen Koblenz (vorne rechts)

15. Juli 2017: Philipp Mittelstedt (1.v.l.) auf dem Weg zu einem RechtsRock-Konzert in Themar – Bildrechte: Lionel C. Bendtner

Bei dem Kommentator handelt es sich um Marek Ljastschinskij, der als Trainer im «La Familia Fight Club» in Erfurt tätig ist. Den «Jungsturm» dürfte er wohl auch aus diesem Zusammenhang kennen, schließlich standen Marco Klingner und Philipp Mittelstedt am Einlass, als das Gym im Oktober 2019 in Stotternheim seine fünfte «Coming Stars»-Kampfsportgala ausrichtete. Im Ring stand dort auch – unangekündigt – Kevin Görke, der für das Team des «Kampf der Nibelungen» (KdN) schon im Juni 2019 auf dem «Tiwaz» antrat. In Stotternheim war ebenso Franz Pauße aus Illmenau zugegen der, als Team-Mitglied des KdN, Görke für seinen Kampf beim «Tiwaz» coachte. Die Kreise scheinen sich im in den Gyms in Halle und Erfurt zu schließen, denn niemand anderes als das aktuell inhaftierte «Jungsturm»-Mitglied Theo Weiland trainierte wiederum Franz Pauße für seinen Kampf auf dem KdN 2017.

Eric Holzhey (vorne) und Philipp Mittelstedt beim «Tiwaz» 2019 – Bildrechte: Pixelarchiv

Auch der in Untersuchungshaft sitzende Robin Brandt wurde von Weiland trainiert. „Mein Junge“, kommentierte er 2018 ein Bild in den sozialen Netzwerken, das Brandt bei einem Sparringstreffen in den Räumen des «La Familia Fightclub» in Erfurt zeigt. Nur ein Jahr später war Brandt einer von 30 Kämpfern auf dem konspirativ organisierten «Tiwaz»-Turnier in Zwickau. Brandts Rolle beim «Jungsturm» war nicht nur die aktive Teilnahme an den „Ackerkämpfen“,sondern ihm wird ebenfalls vorgeworfen verschleierte Geldzahlungen getätigt und Beweismittel beseitigt zu haben.

Dass auch Philipp Mittelstedt an den rechten Kampfsportevents des «Tiwaz» teilnahm, verwundert nicht. Schon 2018 hatte er zwei Sitzplatzkarten vorbestellt, verkaufte diese jedoch wenige Tage vor dem Event. Welch gewaltvolles Potential die Angehörigen des «Jungsturm» mit bringen, zeigt der sogenannte „Kunsthaus-Überfall“ in Erfurt 2012. Mehrere Neonazis aus Erfurt und Ilmenau, darunter Mittelstedt, griffen damals eine Feierlichkeit zur Ausstellungseröffnung im Kunsthaus an, wobei der Kurator des Kunsthauses zusammengeschlagen und ihm das Nasenbein gebrochen wurde. Auch der Leiterin der Einrichtung wurde eine volle Bierflasche auf dem Kopf zerschlagen und einer Besucherin des Kunsthauses schlug einer der Angreifer den Kopf auf einen Autokühler. Beim Eintreffen der Polizei begannen die Täter diese anzugreifen, wobei eine Beamtin schwer verletzt wurde. 2014 musste sich Philipp Mittelstedt mit den anderen Angreifern vor Gericht verantworten.

Philipp Mittelstedt mit Shirt und Gruß an «Animals CSKA Sofia» in der KZ Gedenkstätte Sachsenhausen

Mittelstedt ist Überzeugungstäter und pflegt mit dem «Jungsturm» über Grenzen hinweg Kontakte zu Neonazis und Hooligans. Im Mai 2020 – kurz nach den Razzien gegen den «Jungsturm» – präsentierte er etwa ein T-Shirt der rechten Hooligangruppe «Animals Sofia» vor dem Eingang der KZ Gedenkstätte Sachsenhausen und grüßte dabei grinsend die bulgarischen Hooligans. Diese Verbindung besteht mindestens seit 2017 und wird durch regelmäßige gegenseitige Besuche aufrecht erhalten.

«Animals CSKA Sofia»-Fahne (oben links) auf einem von «Combat 18» organisierten Konzert in Sofia

Bei den «Animals Sofia» handelt es sich um eine Hooligan-Gruppe von CSKA Sofia, die engste Verbindungen zur rechts-terroristischen Vereinigung «Combat 18» unterhält. Die Hooligans aus Sofia, sowie die eng verbundene Ultra-Gruppe «Offenders» waren es auch, die nach den Razzien gegen den «Jungsturm» im Stadion ein Banner präsentierten. Darauf war auf deutsch geschrieben: „Freiheit für die Erfurter“.

Engster Kreis auch in Saalfeld/Rudolstadt aktiv

Felix Reck in Handschellen beim Prozess vor dem Amtsgericht Rudolstadt im Sommer 2020 – Bildrechte: Sören Kohlhuber

Felix Reck wurde zwar nicht im April 2020 verhaftet, dem «Jungsturm» muss er dennoch zugerechnet werden. „Du für uns & wir für dich – Freiheit für Rexer!“ stand im Herbst 2019 auf einem Spruchband im Heimblock des FC Rot-Weiß Erfurt. Präsentiert wurde es oberhalb des Fan-Blocks im Staigerwaldstadion, dort, wo der «Jungsturm» ansässig ist. Seit Oktober 2019 verbringt Felix Reck seine Zeit hinter Gittern. Im Juni und Juli 2020 musste er sich vor dem Amtsgericht in Rudolstadt wegen insgesamt 15 Anklagepunkten verantworten. Neben diversen politisch motivierten Sachbeschädigungen, wie beispielsweise die Zerstörung des Gedenkortes für die von einem Neonazi ermordete Jana G. aus Saalfeld, waren mehrere Bedrohungen und Körperverletzungen Gegenstand der Anklage. Dazu kamen weitere Verfahren im direkten Zusammenhang mit Taten des «Jungsturm». So räumte Reck im Prozess ein, dass er sich im Mai 2019 an einem „Ackerkampf“ gegen Hooligans der SG Eintracht Frankfurt beteiligt hatte. Ein Video des Kampfes, welches in der Verhandlung gezeigt wurde, zeigt Felix Reck auf Seiten des «Jungsturm», wie er seinen Gegner zu Boden schlägt und mehrmals auf ihn einwirkt.

Auch koordinierte Angriffe auf Fans des FC Carl Zeiss Jena wurden in Recks Prozess verhandelt. Etwa der vom 7. Dezember 2018 am Bahnhof in Saalfeld, wie auch der Überfall auf das selbe Fanlager im Februar 2019 in Saalfeld-Gorndorf. Neben Reck war ebenfalls Eric Holzhey zahlreiche Male an Übergriffen beteiligt. In einem zu dem Überfall in Saalfeld-Gorndorf protokollierten Chatverlauf verständigten sich beide über eigene, sowie zugefügte Schäden:

Reck: Meine linke Schulter tut weh und mein rechter Knöchel
Holzhey: linke Schulter und beide Füße
Reck: Ich kann mir meine Verletzungen nicht erklären
Holzhey: Ich schon
Reck: J.‘s Hände wurden auch zerstört
Holzhey: Ein paar Mal habe ich die Hände erwischt, da er sie die ganze Zeit vorm Gesicht hatte
Reck: …wieder ein Leben zerstört

Für die verhandelten Taten wurde Reck zu insgesamt drei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Gegen das Urteil ging die Verteidigung in Berufung. Die Verhandlung vor dem Landgericht Gera soll am 18. November 2020 beginnen.

Eric Holzhey links am Transparent des «Jungsturms» mit Robin Brandt, Dominic Brückner, Steve Weinhold, Benjamin Stoye und Richard Burkhardt

Wie groß Recks Netzwerk ist, zeigte sich eindrücklich während der Prozesstage im Sommer 2020. So versuchten u.a. Neonazis aus den Eisenacher Strukturen um «Knockout51» vor und im Gericht eine Drohkulisse zu schaffen. Dass es die selben Strukturen waren, die nach den Razzien einen Spendenaufruf für die verhafteten «Jungsturm»-Mitglieder initiierten, dürfte demnach nicht verwundern. So hatte Christian Zentgraf aus Hohenkirchen (Landkreis Gotha) kurz nach der Verhaftung von Klingner, Weinhold und Weiland zur Spendensammung über Paypal aufgerufen und gab dabei seine E-Mail Adresse an. Die Spenden sollten an die drei Genannten weiter geleitet werden, sowie an Felix Reck.

Spendenaufruf für den «Jungsturm» durch Christian Zentgraf

Zu Recks Prozess im Sommer reiste Zentgraf mit Thomas Zimmermann und Robin Brandt an. Bereits 2018 trat Zentgraf bei einer NPD-Demo in Erfurt in Erscheinung, als er im Block der Gruppe «Nationaler Aufbau Eisenach» Teil der erste Reihe war und und dort ein Banner der Eisenacher Neonazigruppe hielt. Auch bei der antifaschistischen «Irgendwo in Deutschland»-Demonstration in Eisenach positionierte er sich – den Demonstrant:innen drohend – mit weiteren Neonazis vor dem NPD-Objekt «Flieder Volkshaus».

Auch Eric Holzhey besuchte – neben Anhängern der neonazistischen Bruderschaft «Turonen/Garde20» – den Prozess von Felix Reck. Der aus Saalfeld stammende Holzhey trat bereits 2018 durch Bedrohungen, Sachbeschädigungen und Angriffe auf den ausgemachten politischen Gegner und alternative Kulturprojekte in Erscheinung. Bei Heimspielen des FC Rot-Weiß Erfurt fand er sich zudem regelmäßig hinter dem Banner des «Jungsturm» ein und war auch an einem „Ackerkampf“ gegen Hooligans aus Koblenz im Jahr 2018/2019 beteiligt.

Marius Mösch (links) und Anton Weiland (rechts)

28. April 2020: Eric Holzhey vor dem Amtsgericht in Rudolstadt – Bildrechte: Sören Kohlhuber

2019 unterstütze er den Eisenacher Neonazi Kevin Nöske im Rahmen dessen Gerichtsprozesses. Zum weiteren Kreis des «Jungsturm» aus dem Raum Saalfeld/Rudolstadt zählen Marius Mösch und Anton Weiland, der kleinere Bruder von Theo Weiland.

Verbindungen zur Westthüringer Neonaziszene

Kevin Noeske (2.v.r.) und Franz Prauße (1.v.l.) beim Lager der «Jungen Revolution» in Stürzenbach

Neben Erfurt gilt Eisenach als Schwerpunkt der Neonaziszene Thüringens. Dort konnte sich über Jahre hinweg eine Szene verfestigen, die in der Stadt durch massive Einschüchterungen versucht „No Go Areas“ zu schaffen. Zum aktiven Kern dieser Szene gehört Kevin Noeske, der in der mittlerweile aufgelösten Kameradschaft «Nationaler Aufbau Eisenach» verankert war und aktuell in der extrem rechten Kampfsportstruktur «Knockout51» um Leon Ringl mitwirkt. Gemeinsam mit einem dutzend anderen Neonazis – darunter der langjährig aktive NPD-Kader Patrick Wieschke – nahm Noeske jüngst an der «Querdenken»-Veranstaltung im August 2020 in Berlin teil. Im Laufe des Tages kam es aus der Gruppe zu Gewalttaten gegenüber der Polizei.

Noeske ist allerdings auch Teil des «Jungsturm»-Zusammenhangs. So trat er nicht nur im Stadion in deren unmittelbaren Umfeld auf, sondern präsentierte sich bereits im Frühjahr 2019 in einem T-Shirt des «Fight Club – Riot Sport Crew – Rot Weiß Erfurt», ein vom «Jungsturm» produzierter Artikel. In selber Oberbekleidung ist Noeske auch auf Bildern zu erkennen, die im Rahmen eines Sportlagers der «Jungen Revolution» im Juli 2020 entstanden. An dem von der Polizei aufgelösten Lager im thüringischen Stürzenbach nahmen auch bundesweite Strukturen wie das Team des KdN teil. Wenige Monate später, im Oktober 2020, kämpfte Noeske allen Anschein nach auch selbst auf dem KdN. Unterstützt wurde er dabei von den «Knockout51»-Mitgliedern Leon Ringl und Maximilian Andreas.

Von der Bruderschaft zur Neonazi-Hooliganszene

Dennis Dragewski

Auch der gebürtige Arnstädter Dennis Dragewski entwickelte sich über die letzte Jahre zum festen Bestandteil des «Jungsturm». Schon 2014 und 2015 tauchte er am Rande von Aufmärschen der Formate SüGIDA in Suhl und ThüGIDA in Arnstadt auf und kam spätestens ab 2015 in Kontakt mit Marco Klingner. Denn wie Klingner war Dragewski viele Jahre in der Sicherheitsbranche tätig. Gemeinsam waren sie auch für die Absicherung eines Folk-Festivals in Rudolstadt verantwortlich. In der gleichen Zeit suchte er Anschluss an die rechte Bruderschaft «Wahre Werte», der er jedoch nur kurze Zeit angehörte. Ab Frühjahr 2016 folgten erste öffentliche Bekenntnisse seitens Dragewski zur Neonazi-Hooliganszene Erfurts. Schon im Vorjahr war er regelmäßiger Begleiter von Benjamin Stoye, Thomas Zimmermann, Philipp Mittelstedt und Marco Klingner.

August 2015: Dennis Dragewski (2.v.l.) und Thomas Zimmermann (2.v.r.) in T-Shirts der Bruderschaft «Wahre Werte»

Dragewski, der „Straight Edge“ lebt und aktuell in einem Bestattungsinstitut arbeitet, ist stark darauf bedacht, sein extrem rechtes Weltbild nicht öffentlich Preis zu geben. Dabei stellt er sich als Wohltäter dar und überreichte gemeinsam mit Philip Mittelstedt etwa Spenden an die Kinder-Krebs-Station in Erfurt. Auch eine Wohltätigkeitskampagne für Wohnungslose habe er initiiert.

Ein anderer aus Dragewskis Umfeld – Thomas Zimmermann aus Erfurt – mischte ebenfalls im Geschehen des «Jungsturm» mit. Diesen dürfte Dragewski noch aus dem Jahr 2015 kennen, denn auch Zimmermann gehörte der rechten Bruderschaft «Wahre Werte» an. Im Rahmen seiner Betätigung beim «Jungsturm» nahm Zimmermann etwa an einer Reise zu den Neonazis von «Animals Sofia» in Bulgarien teil, begleitete Robin Brandt zu seinem Kampf auf dem «Tiwaz» 2019 und unterstützte Felix Reck bei dessen Prozess am Amtsgericht in Rudolstadt.

Kein Ende in Sicht

9. Juli 2020: Neonazis, u.a. Thomas Zimmermann (1.v.l.), am Rande des Prozess gegen Felix Reck am Amtsgericht Rudolstadt – Bildrechte: Sören Kohlhuber.png

Seit den Verhaftungen von Mitgliedern des «Jungsturm» im April und Juli 2020 sind von den nicht-angeklagten Personen keine öffentlichen Aktivitäten mehr wahrnehmbar, außerhalb der Unterstützung „ihrer Gefangenen“. Bezüge zur Szene lassen sich bei den hier aufgeführten, nicht in Haft sitzenden Personen jedoch auch weiterhin darstellen. Vor allem im Rahmen des Prozesses gegen Felix Reck scheute das Netzwerk die Öffentlichkeit nicht, sondern suchte sie. Dabei machten die unterstützenden Strukturen erneut deutlich, wie stark der «Jungsturm» in die Landschaft der extremen Rechten in Thüringen eingebunden ist. Ähnliche Drohkulissen sind indes auch für die Prozesstage gegen den «Jungsturm» selbst in Gera zu erwarten. Dass die Taten der Gruppe in eine politische Dimension eingeordnet werden, darf jedoch bezweifelt werden. Dies beweisen andere Verfahren gegen rechte Hooligan-Gruppierungen, bei denen es vorrangig um einvernehmliche Körperverletzungen gegen andere Hooligans ging, statt zu erfassen, dass Hooliganismus teil einer extrem rechten Erlebniswelt sein kann. Die daraus gewonnenen Erfahrungen dienen schließlich einzig dem Zweck, Minderheiten und den politischen Gegner zu dominieren.