Prozessbeginn gegen altbekannte Neonazis

Vor dem Landgericht Erfurt finden sich ab Donnerstag den 12. Januar fünf Neonazis wieder. Gegen sie wird als letztes im Komplex des Überfalls vor der Staatskanzlei am 18. Juli 2020 verhandelt. Angeklagt sind die Erfurter Neonazis Nico Julian Moritz Franz, Philippe Amor, Robert Brandt, Kevin Jacobi und Robin Cyriax. Bei vier der Angeklagten handelt es sich um Neonazis aus Erfurt, welche seit vielen Jahren aktiv sind und vor allem durch Gewalttaten aufgefallen sind, bereits mehrmals vor Gericht standen und sich einige Zeit im „Kollektiv56“ organisierten. Ausführliche Recherchen zu den Laufbahnen in der Neonaziszene gibt es auf den jeweiligen verlinkten Unterseiten. Dennoch soll nocheinmal zusammenfassend dargestellt werden, dass es sich bei den Angeklagten nicht um unpolitische Schläger, sondern überzeugte Neonazis handelt. Beitrag von Kollektiv56 aufdecken.

Nico Julian Moritz Franz
Der Erfurter Neonazi tauchte ab 2010 regelmäßig auf Neonazidemonstrationen in und um Erfurt in Erscheinung. Anfang bis Mitte der 2010er war Franz Teil der Erfurter Gruppe der JN („Junge Nationaldemokraten“), der Jugendorganisation der NPD. Als diese Struktur mit dem Wegzug ihres damaligen Führungskaders zerbrach, wechselte Franz übergangslos zur Gruppe „Kollektiv56“, welche wesentlich aktionsorientierter agierte und sich dem Spektrum der „Autonomen Nationalisten“ und ihrem militanten Habitus verschrieben hatte. Länger als sein vollständiger Name ist sein Vorstrafenregister. Franz ist seit 2013 mehrmals strafrechtlich in Erscheinung getreten. Meist ging es dabei um vorsätzliche, gefährliche und gemeinschaftliche Körperverletzungen, rassistische Beleidigung und Gewalt gegen Polizisten im Kontext von Fußballspielen. Im Jahr 2016 beteiligte er sich mit anderen Mitgliedern der Gruppe „Kollektiv56“ am Angriff auf das AJZ Erfurt, wobei mehrere Personen durch Glasflaschen, Pfefferspray und Schläge sowie Tritte verletzt worden sind. Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt. Am selben Abend des Angriffs auf das AJZ wurde er noch am Hauptbahnhof nach einer Raubstraftat festgenommen und kam in Untersuchungshaft. Nur wenige Monate zuvor beteiligte er sich am Angriff auf den Leipziger Stadtteil Connewitz, wofür 2019 zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten sowie 2.000,00 € Geldstrafe verurteilt worden ist. Zusätzliche Bekanntheit erlangte Franz durch ein Besuch des „Kommando Paul Schäfer“, indem er die Quittung für sein handeln bekommen hat, wie man einem Schreiben auf Indymedia entnehmen kann. Weitere Infos HIER.

22. April 2022 beim Heimspiel Rot-Weiß Erfurt: Daniel Pabst von der Neuen Stärke (1.v.l.), Connewitz-Angreifer Thomas Selle (2.v.l.) ehemaliger Vorstand der NPD Erufrt-Sömmerda Stefan Ridzi (3.v.l.) und Julian Franz (2.v.r.)

Philippe Amor
Ist seit vielen Jahren Teil der Erfurter Neonaziszene und war eine zeitlang Vorstand des „Volksgemeinschaft e.V.“, welcher die Räumlichkeiten des ehemaligen Neonazizentrum in der Stielerstraße 1 in Erfurt mietete und verwaltete. Er war dann selbst Teil der Neonazigruppe „Kollektiv56“, beteiligte sich am Angriff auf das AJZ Erfurt 2016 und griff ein knappes Jahr später erneut Menschen im AJZ an, wobei es in diesem Fall für ihn zumindest vor Ort nicht gut verlief. Strafrechtlich wurde er zwar für den Angriff 2016 vor Gericht gestellt, jedoch das Verfahren eingestellt. Das Verfahren wegen des Angriffs 2017 wurde ohne eine Verhandlung eingestellt. Weitere Infos HIER.

 

Philippe Amor (links), Kevin Jacobi (Mitte) und Robert Brandt (rechts) auf dem Balkon von Amor’s Wohnung in der Kasseler Straße.

Robert Brandt
Langjähriges Mitglied der Gruppe „Kollektiv56“ war ebenfalls der Erfurter Neonazi Robert Brandt. Zusammen mit dem damaligen Führungskopf, Michael Zeise, betreute er Infostände der Gruppen „Media Pro Patria“, welche u.a. durch Zeise eine nicht sonderlich erfolgreiche Neuauflage erfuhr, sowie des „Antikapitalistischen Kollektiv“, als Zusammenschluss mehrerer ebenfalls weniger erfolgreichen Neuauflagen von Gruppen aus dem Bereich der „Autonomen Nationalisten“, wobei sich das „Kollektiv56“ zu dieser Vernetzung zählte. Brandt beteiligte sich ebenfalls am Angriff auf Connewitz im Januar 2016.
Mittlerweile ist Robert Brandt bei einem Nachfolgeprojekt aus dem Bereich der „Identitären Bewegung“ aktiv. Brandt ist Teil der Erfurter Gruppe „Kontrakultur Erfurt“, welche seit 2021 aktiv ist und vor allem durch Inszenierungen in den sozialen Medien auffällt. Brandt beteiligte sich am 12. November 2022 an der AfD-Demonstration in Erfurt mit anderen Vertretern von „Kontrakultur Erfurt“ mit einem eigenen Banner. Laut einer weiteren veröffentlichten Recherche auf dem Rechercheportal Erfurt gilt Brandt als auch Bindeglied zwischen „Kontrakultur Erfurt“ und weiteren militanten Neonazis wie den aus Eisenach zugezogenen Kevin Noeske. Weitere Infos HIER.

Robert Brandt (1.v.l. am Transparent) am 12. November 2022 auf AfD-Demonstration mit “Kontrakultur Erfurt”.

Kevin Jacobi
Gehörte ebenfalls zum engeren Kreis des „Kollektiv56“ und zählt zum Freundeskreis von Brandt, Franz und Amor. Er selbst tauchte immer wieder bei Neonazidemonstrationen auf., beispielsweise am 1. Mai 2018 auf der demonstration der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“, an welcher er zusammen mit Philippe Amor und Julian Franz teilnahm. Weiterhin nahm er am 15. Juli 2017 an einem größeren Rechtsrock-Festival in Themar teil. Weitere Infos HIER.

Kollektiv56 2019 (vorne rechts Robert Brandt + Freundin), Kevin Jacobi, Ronny Damerow, Sören Erik Hildesheim + Freundin, Philippe Amor + Freundin

Robin Cyriax
Ist ebenfalls angeklagt und bisher nicht groß in Erscheinung getreten. Dass der ehemalige Nachwuchssportler des ASV Erfurt jedoch gute Kontakte in die Erfurter Neonaziszene zu pflegen scheint, zeigt seine gemeinsame Anklage mit bekannten Neonazis.

Die nächste Generation – Die gleichen Justizfehler

Mit dem Prozess gegen Franz, Amor, Brandt, Jacobi und Cyriax beginnt der letzte Prozess aus dem Komplex um den Angriff am 18.Juli 2020. Gegen einige, vor allem junge Neonazis, aus Erfurt wurde bereits verhandelt und milde Urteile gefällt. Zum Teil mussten die Angeklagten, trotz eindeutiger Nachweise von Angriffen wie Tritte gegen den Kopf von Personen am Boden nichts befürchten. Hinzu kamen Angriffe auf herbeieilende Polizisten. Die Gerichte urteilten meist nicht mehr als Sozialstunden und „Anti-Gewalt-Trainings“, selbst bei den Neonazis, welche sich nicht geständig einließen, wenn auch bei den gebrachten Geständnissen fraglich ist wie ernst diese gemeint waren. Da in Erfurt nichts vergessen und nichts vergeben wird, soll auch auf die weitgehend straffrei davongekommenen Neonazis eingegangen werden.

Familie Hildesheim – Sören Erik Hildesheim, Hagen und Björn Hildesheim
Etwas außerhalb von Erfurt, lebt die Familie Hildesheim mit drei Söhnen. Ihr ältester Sohn ist Sören Erik Hildesheim, welcher schon vor einigen Jahren zum Umfeld des „Kollektiv56“ zählte und sich beispielsweise am Angriff auf das AJZ 2016 beteiligte. Das Verfahren gegen ihn wurde damals, wie gegen einen Großteil der beschuldigten Neonazis, eingestellt. Sören Erik Hildesheim gehört seitdem zum festen Kreis der Erfurter Neonazis um Amor, Brandt und Ronny Damerow.
Ebenfalls bereits verurteilt wegen des Angriffs vor der Thüringer Staatskanzlei sind die beiden Zwillingsbrüder Hagen und Björn Hildesheim, welche beide ein paar Jahre jünger als ihr Bruder Sören Erik Hildesheim sind. Sören Errik Hildesheim wurde vor dem Amtsgericht Erfurt im Dezember 2022 freigesprochen. Er sagte, er habe keine Sympathien für die rechte Szene, was sich durch diverse Bilder und Ermittlungsverfahren u.a. wegen der Beteiligung am Angriff auf das AJZ 2016 wiederlegen lässt. Dem Gericht schien seine Behauptung zu reichen. Seine beiden Brüder bewegen sich im Umfeld von „Kontrakultur Erfurt“, wobei vor allem ihre Kontakte zu Robert Brandt dafür entscheidend sein dürften. Ebenfalls sind beide für mehrere Schmierereien der Graffiti-Gruppen „SRH“ und „RSK“ mitverantwortlich. Hagen und Björn Hildesheim schwiegen vor Gericht und wurden 2022 zu Sozialstunden und einer geringen Geldstrafe sowie ein “Online-Anti-Gewalt-Training” verurteilt.

v.l.n.r.: Björn, Hagen, Sören Hildesheim sowie Sören Malte Scholz.

Sören Malte Scholz
Zu eben diesem Umfeld zählt auch Sören Malte Scholz aus Erfurt. Der 19-jährige zählt ebenfalls zum Freundeskreis um Hagen und Björn Hildesheim. Als Gruppe nutzen sie vor allem zwei Anlaufpunkte in der Stadt. Einmal die Kneipe Schmidt’s Cafe, Am Stadtpark 16, sowie den MGM Stützer in der Meyfarthstraße 15. Schmidt’s cafe war auch im Juli 2020 Ausgangsort der Gruppe Neonazis, welche sich von dort in die Stadt begab und sich in Richtung Innenstadt begaben.

Sören Malte Scholz (mittig) und Björn Hildesheim (rechts) vor dem “Schmidt’s”.

Philippe Amor (l.), Hagen und Björn Hildesheim vor dem MGM-Stützer in der Meyfarthstraße 15.


Ebenfalls verurteilt – Felix Klamert, Niklas Mike Athenstadt, Tim Schmidt und Phillip Kalmring

Wegen des Angriffs vor der Thüringer Staatskanzlei wurden ebenfalls mehrere weitere Personen angeklagt. Darunter Felix Klamert, Phillip Kalmring und Nicklas Mike Athenstädt. Tim Schmidt wurde als einziger zu einer längeren Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Alle vier sind bislang nicht großartig offen mit der Neonaziszene in Verbindung gekommen, gehören jedoch zum engeren Kreis um die Hildesheimbrüder sowie Sören Malte Scholz.

Felix Klamert

Tim Schmidt

Tim Schmidt

Phillip Kalmring

Ausblick – Neonazigewalttäter ohne Konsequenzen?

Bundesweit sorgte der Angriff vor der Thüringer Staatskanzlei für Schlagzeilen. Während die Polizei und Staatsanwaltschaft den Fall mehrmals und bewusst entpolitisierten sowie die Angreifer mit den Angegeriffenen auf eine Stufe stellten und behauptet worden ist, es habe sich um eine “Massenschlägerei” gehandelt, zeigten antifaschistische Recherchen die Kontinuität der Neonazi-Schläger. Da viele Verfahren gegen Neonazis in Thüringen gezeigt haben, dass diese auch weiterhin von der Justiz nichts zu befürchten haben, als milde Strafen und die politische Motivation auch im letzten Prozess um den Angriff wohl kaum eine Rolle spielen dürfte, ist es an Antifaschist*innen klar zu machen:

Es wird nichts vergessen und nichts vergeben! Nazistrukturen angreifen! Auf allen Ebenen! Mit allen Mitteln!

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